Langsam habe ich das Gefühl, dass ich Jörn Schaars feine Seite in „Jörn Schaars feine Rants über allerlei Blödsinn“ umbenennen sollte. Diesmal geht es um eine Nebensatzäußerung einer Bundespolitikerin bei einer Buchpräsentation und um die hohe Kunst des Aus-dem-Zusammenhang-reißens, der sich neben den üblichen Verdächtigen im Netz nun auch die Piratenpartei angenommen hat.
Worum geht es also? Frau Schröder hat ein Buch geschrieben, das ich nicht kenne und mit dem ich mich weder an dieser noch an anderer Stelle eingehend beschäftigen möchte. (Ganz einfach weil ich das nicht muss.) Nun steht in dem Buch wohl irgendwas, das einigen Twittermenschen nicht so recht gepasst hat und so verbreitete sich offenbar recht schnell der Aufruf bei Twitter, die Buchpräsentation im Berliner Prenzlberg zu besuchen und vielleicht ein bis vier Fragen zu stellen.
Wie das so ist bei Twitter, gerade wenn jemand wie Frau Schröder aktiv twittert, dann schreibt der eine oder andere auch schon mal den Twitternamen mit in so einen Aufruf, denn dann bekommt das ganze ja mehr Gewicht und vielleicht merkt die so erwähnte ja dann auch gleich was davon.
Die Buchpräsentation verlief offenbar nicht ganz so rund, wie Frau Schröder dachte, die Zielgruppe war offenbar nicht oder nur in der Minderheit vertreten. Das Gros machte wohl Twittervolk aus das mit dem Inhalt des Buches nicht ganz einverstanden war. Dazu muss man das Buch vermutlich nicht mal gelesen haben, denn manchen scheint dabei schon der Titel „Danke, emanzipiert sind wir selber“ zu reichen. Der NDR berichtet von Zwischenrufen usw. usf.
Unter anderem die Piratenpartei echauffiert sich jetzt darüber, dass dieser Twitter-Aufruf zum Zwischenruf in dem Beitrag von Frau Schröder mit den Worten erwähnt wird, Zitat:
Ich hab zum Beispiel auf Twitter mitbekommen, dass da aufgerufen zu kommen. Also da stand schon mit so’nem gewissen Unterton so „Wollen wir morgen Abend zu Frau Schröder gehen?“. Und wenn man dann guckt wer das ist, hatte ich mir schon gedacht, dass das welche sein werden, die auch ein bisschen reinrufen. Hab ich zumindest mal ans BKA weitergegeben zur Sicherheit.
In dem Hörfunkbeitrag des NDR-Reporters Peter Mücke klingt zumindest der letzte Satz etwas merkwürdig. Man könnte Schröders Tonfall an der Stelle durchaus als großkotzig oder vielleicht noch als süffisant interpretieren. Andererseits war ich nicht dabei, Körpersprache wäre in dem Zusammenhang sehr aufschlussreich. Aber der entscheidende Teil wird nirgends, nirgends auch nur erwähnt: „ZUR SICHERHEIT“ Ich hab das mal ein kleines bisschen deutlich gemacht, damit wir das nicht vergessen. Denn offenbar hat die Presseabteilung der Piratenpartei eben jene beiden Worte am Satzende überhört. Das kann passieren. Da sagt jemand „Ich habe die Tweets ans BKA weitergegeben“ und weil auf einmal die halbe Pressestelle laut „WTF!“ schreit, geht der Rest eben unter. Ich hoffe zumindest, dass es sich so zugetragen hat, denn anders kann ich mir den Rest nicht erklären.
Die Piratenpartei nutzt nämlich den Teil, den sie nicht überhört hat für Wahlkampfgetöse: „Ich habe die Tweets ans BKA weitergegeben“.
»Dieses Beispiel zeigt, wie unbeholfen und ängstlich die etablierten Parteien im Umgang mit den neuen Medien und bei deren Bewertung sind. Statt auf Twitter den Dialog zu suchen und sich über Werbung für die eigene Veranstaltung zu freuen, wird wegen eines ›Untertons‹ Deutschlands höchste Ermittlungsbehörde eingeschaltet. Offensichtlich wächst der Graben zwischen Politikern der etablierten Parteien und den Bürgern«, so Marina Weisband, politische Geschäftsführerin der PIRATEN.
Liest man im Blog der Partei.
ARSCHLECKEN!
Bestenfalls zeigt das, dass Frau Schröder etwas übervorsichtig ist, weil sie in den Aufrufen zur vermeintlichen Störung der Veranstaltung als potentielle Bedrohung überinterpretiert. Und das ist in meinen Augen schon eine sehr großzügige Auslegung dessen, was da vermutlich passiert ist. Die Attentate auf Schäuble und Lafontaine sind offenbar lange genug her, dass man sich nicht mehr daran erinnert oder was? Als Bundespolitiker steht man sehr im Fokus und wie groß die Bedrohungslage offenbar ist, zeigt das BKA-Aufgebot mit dem vor allem Kabinettsmitglieder geschützt sind.
Ich war mal auf einer Veranstaltung im Bundestag. Das war ein Empfang auf der Fraktionsebene, auf dem ausschließlich geladene Gäste anwesend waren. Und trotzdem: Neben jedem Kabinettsmitglied mindestens zwei BKA-Personenschützer. Und dieser Schutz wird bei öffentlichen Veranstaltungen eben hochgefahren. Ich kenne mich mit sowas nun wirklich nicht aus, aber ich denke mal, dass Schröders Büro im Vorfeld eine Konferenz mit dem Personenschutz hatte bei dem die Buchpräsentation besprochen und Schröders Schutz geplant wurde. Dabei wurde vermutlich – das zumindest legt der Hörfunkbeitrag des NDR nahe – mit Prenzlberg-Muttis gerechnet, die Schröder und ihrem Buch wohlgesonnen sind. Und das BKA so: „Dann stellen wir mal vier Mann ab, das reicht.“
Jetzt laufen, keine Ahnung, 20 oder 40 dieser Tweets bei ihr auf. „Kommt wir gehen zu Frau Schröder, bisschen trollen“ oder was auch immer da geschrieben worden sein mag. Selbstverständlich geht einem da die Muffe und selbstverständlich will man da kein Risiko eingehen und spricht noch mal mit dem BKA darüber, das dann selbstverständlich sagt „Huch, dann lass mal lieber zwei, drei Leute mehr hinschicken.“
Wo zum Geier ist denn da das Problem? Was rechtfertigt solche Tweets wie diese hier?
Oh, wie peinlich: „Die Angst vorm Neuen – Kristina @schroeder_k meldet Tweets an das BKA“ bit.ly/IWrwaI #Piraten
— Edward (@twitgeridoo) 19. April 2012
Wat ne blöde Schnepfe: »Die Angst vorm Neuen – Kristina Schröder meldet Tweets an das BKA« bit.ly/IRwIHq via @piratennrw
— Blueberry High (@Blaubierhund) 19. April 2012
Tja, liebe @schroeder_k: bit.ly/HPJW8x Ging das nicht ein bisschen zu weit? Nur ein bisschen? #wtf
— Caro Mahn-Gauseweg (@688i) 19. April 2012
Vermutlich alles Einzelfälle…
Man muss als Politiker glaube ich schon aufpassen. Wer weiß denn, ob da nicht jemand dabei ist, der durchdreht? Gut das weiß man buchstäblich nie, aber man kann das Risiko minimieren. Wer das Internet und seine Benutzer kennt, der weiß um deren Unsachlichkeit in mancher Diskussion und insofern ist das Zitat von Frau Weisband bestenfalls naiv:
»Das BKA ist mit wichtigen Ermittlungen in Deutschland betraut. Es kann nicht angehen, dass diese Behörde Tweets nachgehen soll, weil die Familienministerin bei ihrer privaten Buchvorstellung nicht gestört werden möchte«, so Weisband weiter.
Doch, kann es. Doch, muss es.
Disclaimer: Ich bin weder Fan der CDU noch der Politik oder der Person Kristina Schröders. Tatsächlich bin ich überhaupt kein besonderer Fan der Politik in Deutschland, auch aber nicht nur weil die mal wieder ein ganzes Land lahmlegt, weil in zwei Bundesländern Wahlkampf ist. In ganz vielen Augenblicken des täglichen Lebens halte ich Deutschland für eine ausgemachte Bananenrepublik, aber das ändert nichts daran, dass man Tatsachen nicht verdrehen sollte und Aussagen nun mal im Zusammenhang betrachtet werden müssen. Weil aber genug Tatsachen verdreht und genug Aussagen aus dem Zusammenhang gerissen wurden, schrieb ich diesen Blogeintrag. Danke für die Aufmerksamkeit.
Ich habe mir die Äusserung auch angehört und war so angewidert von dem Tonfall, wie ich es von der Frau selbst bin. Die Tweets, die sie gekriegt hat, kenne ich nicht. Insofern weiß ich nicht, ob die Angst gerechtfertigt und die Bedrohung echt oder gefühlt war. Aber insgesamt gesehen, passt ihr Verhalten zu dem traurigen Bild, das sie in meinen Augen abgibt: eine junge, kackdreiste und kompetenzefreie Frau, die gerne austeilt, aber nicht einstecken kann, die die Züge des klassischen Schulhofbullys trägt: laut und bedrohlich ob der starken Gang, die er hinter sich weiss, aber ein feiges Würstchen, das sich hinter Formalien verschanzt, wenn ihm einer mutig entgegentritt und mal die Meinung sagt.
Narf, mir ist eben was blödes passiert: Zwei Kommentare dazu waren im Spamfilter gelandet und ich habe gewohnheitsmäßig auf „Spamordner leeren geklickt“. Falls die Kommentatoren hier noch mal reinschauen: Keine Absicht, keine Zensur, bitte einfach noch mal kommentieren.
@ Kiki: Ja, der Tonfall. Klingt auf’s erste hören ein bisschen nach Gutsherrenart und auf’s zweite eigentlich auch immer noch. Wie gesagt, Körpersprache und Mimik wären da sehr hilfreich um die Aussage besser einordnen zu können. Pauschal und nur wegen eines Teils dieser schwer einzuordnenden Aussage so ein Fass aufzumachen, halte ich nach wie vor für zumindest schwierig in der Argumentation. Wenn das der gemeine Netizen tut – geschenkt, we put the Hype into hyperventilieren. Für eine Partei ist das aber ein anderer Schnack.
Naja, für mich klingt ess mehr nach hyperventilieren, wenn jemand wegen der Aufforderung zu seiner öffentlichen Veranstaltung zu kommen das BKA einschaltet. Aber wie gesagt, ich habe die betreffenden Tweets nicht gelesen. So oder so — souverän geht anders.