UKW-Radio tot?

Auf den Lokalrundfunktagen in Nürnberg hat Michael Praetorius eine, wie ich finde, eher steile These aufgestellt:

. Zumindest zum überwiegenden Teil. Niemand weiß ganz genau, wie viele UKW-Empfänger eigentlich in deutschen Haushalten stehen. Ich überschlage grob fünf für meinen Zwei-Personen-Haushalt, das im Auto noch nicht mitgerechnet.

Dem stehen zwei Notebooks, ein Desktop-PC und zwei Smartphones entgegen. Meine Webradio-Nutzung tendiert gegen null. Gelegentlich höre ich mal in die Streams der Sender rein, für die ich früher gearbeitet habe und noch viel seltener läuft ein reines Online-Radio als Hintergrundbeschallung. In meinem Familien- und Bekanntenkreis ist das ganz ähnlich und die halbjährlich veröffentlichten Nutzungszahlen des Radios, die MA, zeichnet ein ähnliches Bild: Die mit weitem Abstand große Masse der Hörer nutzt nach wie vor UKW als bevorzugten Verbreitungsweg für Radio.

Michael sieht allerdings einen entscheidenden Nachteil beim analogen Radio:

Dazu muss ich ein wenig ausholen: Die wirklich wichtigen Menschen vor dem Radio sind, machen wir uns nichts vor, die Werbekunden. Privatradio finanziert sich ausschließlich durch Werbeeinnahmen und unterliegt damit gewissen Zwängen. Einer dieser Zwänge ist es, den Kunden, bzw. dessen Agentur ständig davon überzeugen zu müssen, dass der jeweilige Sender der beste der Welt ist. Die meisten Hörer in der Durchschnittsstunde, die höchste Verweildauer usw. usf.

Die Konkurrenz jedoch schläft nicht. Zeitungen, Fernsehen, Plakate, Onlinewerbung, Apps – ständig werden neue vermeintlich attraktive Werbefelder geschaffen und der Werbekuchen immer weiter aufgeteilt. Das Budget des einzelnen Kunden bleibt jedoch im Normalfall gleich. Der Radio-Anteil an diesem Budget könnte also schrumpfen, wenn es dem Radio nicht gelingt, den Kunden noch mehr an sich zu binden.

Wo liegt das Problem?

Radio, Zeitung und Plakat sind Massenmedien. Eine Anzeige in der örtlichen Tageszeitung wird von 100.000 Leuten gesehen. (Gehen wir mal davon aus, dass die Leute die Anzeige auch wirklich wahrnehmen und nicht einfach nur überblättern.) Von den 100.000 Leuten fallen 60% durch’s Raster weil sie nicht zur Zielgruppe gehören, weil die Anfahrt zur entsprechenden Filiale zu weit ist oder weil sie sich nicht für das Produkt interessieren oder es vielleicht gerade nicht brauchen. Diese Zahl habe ich mir ausgedacht, keine Ahnung, ob es belastbare Zahlen zum Thema Streuverlust gibt. Jedenfalls ist es beim Radio ähnlich und beim Plakat noch schlimmer.

Jetzt kommen die cleveren Onliner und sagen: „Schau mal, lieber Kunde, 60% Streuverlust. Du hast also 60% Deiner Kosten verbrannt, weil die Leute, die Du mit diesem Teil des Budgets erreicht hast, Dein Produkt gar nicht kaufen wollen. Mach doch lieber Online-Werbung, da kannst du nicht nur viiiiiel regionaler aussteuern, wer Deine Werbung sieht, Du bekommst auch sofort ein Feedback auf Deine Anzeige.“

Es stimmt: Der Erfolg einer Online-Kampagne ist deutlich besser messbar, als die in den analogen Massenmedien. Jeder, der schon einmal irgendein Analytics-Tool gesehen hat oder sich in seine Serverstatistiken vergraben hat, weiß das.

Michael Praetoruis schließt daraus

Natürlich hat er damit recht. Die Möglichkeiten des Trackings und des Targetings sind im Radio einfach nicht gegeben. Zielgruppenspezifische Werbung geht nur bedingt und bringt immer auch einen Streuverlust mit sich, weil sich die Radiosender heutzutage einfach nicht mehr trauen, sich auf nur eine Zielgruppe zu fokussieren. Oder auf überhaupt eine Zielgruppe, die man als solche bezeichnen könnte. Tatsächlich funktioniert es in der Praxis oft andersherum: Man ermittelt durch Marktforschung einige Charakteristika der Hörerschaft und weist diese Eigenschaften einfach als Zielgruppe aus. Der Rest (Haushaltsnettoeinkommen, Geschlecht, Durchschnittsalter und die ganzen anderen demographischen Planungsdaten) kommt von allein.

Tracking, also die Frage wer meine Werbung tatsächlich gehört hat, kann man auch nicht umsetzen. Das liegt zum einen an der Art wie Radio verbeitet wird: Ein passiver Empfang wie am UKW-Radio kann nicht gemessen werden. Zum anderen liegt das an der mehr als mangelhaften Methode wie die Einschaltquoten erhoben werden. Halbjährlich wird eine repräsentative Telefonumfrage durchgeführt, in der an keiner Stelle abgefragt wird, welchen Sender man jetzt aktuell hört. Man muss sich für die Umfrage daran erinnern, welche Sender man in den letzten 14 Tagen und gestern gehört hat. Die Tatsache, dass kein Ist-Zustand sondern ein Erinnerungswert abgefragt wird, muss in meinen Augen zu einer Verzerrung des Ergebnisses führen.

Bestes Beispiel sind Anrufe und Mails von Hörern. Die kommen täglich an und mindestens zwei, drei Mal im Monat ist eine dabei, bei der in der Anrede der Name eines Wettbewerbers („Hallo, liebes RPR-Team“) genannt wird.

Ganz oft weiß man als Hörer nicht mehr, welchen Sender man wirklich gehört hat. Kein Wunder, wenn man von Flensburg bis Garmisch fährt und immer die gleiche Sauce aus den 80ern, 90ern und den geheimsten Geräuschen von heute vorgesetzt bekommt.

Die Mediaanalyse fragt ab, welche Sender man glaubt, gehört zu haben und das ist das große Problem beim Tracking der Werbeinformationen.

Aber ist UKW deswegen gleich tot?

Nein. So lange die Masse der Hörer immer noch an seinem UKW-Empfänger festhält, kann es sich kein werbefinanziertes Programm dauerhaft erlauben, UKW als Verbreitungsweg fallen zu lassen*. Das mag den Werbetreibenden und den Mediaplanern nicht so recht gefallen, aber im Augenblick sind die Hörer über UKW das Kapital der Sender und daran wird sich so schnell nichts ändern.


* Eine Ausnahme bildet hier, bevor jemand in den Kommentaren darauf zu sprechen kommt, das Fußballradio 90elf. Das funktioniert als reines Webradio, weil es einen sehr, sehr scharfen Zielgruppenzuschnitt hat. Es geht ausschließlich um Fußball. So ein Programm würde auf UKW wahrscheinlich nur sehr bedingt funktionieren, sowas gehört ins Internet. 🙂

2 comments on UKW-Radio tot?

  1. Ich habe das noch mal etwas ausführlicher hier zusammengefasst:
    https://www.praetorius.com/blog/ukw-ist-tot-tot-tot.html

    UKW als Geschäftsmodell ist tot, tot, tot!
    Sender müssen umdenken. Die klassische Frontalbeschallung über einen zentralen Distributionsweg ist tot. Sender müssen sich intermediär aufstellen. Ihr Programm in sozialen Netzwerken, Online-Angeboten und Apps aufstellen. Aber nicht als Tease auf das lineare Radioprogramm, sondern als vernetztes Programm. Online First, Social Media First muss der Workflow heißen, Arbeitsschritte müssen crossmedial angelegt werden, um den Mehraufwand zu vermeiden. In den meisten Sendern ist Crossmedia noch immer ein Fremdbegriff. Da können noch soviele UKW-Empfänger rumstehen. (ich habe irgendwo auch noch ein Fax).

    Michael Praetorius

  2. Ich poste mal den gleichen Kommentar, den ich in Deinem Blog schon hinterlassen habe:

    Die pauschale Aussage, UKW-Radio als Geschäftsmodell sei tot ist ja auch so nicht haltbar. Mit UKW-Radio wird immer noch das meiste Geld verdient, ganz im Gegensatz zu den Social Media-Aktivitäten und Apps der Sender. FFH hat noch vor wenigen Jahren tausende Euro in Second Life begraben, weil man der Meinung war, das sei der neue heiße Scheiß. Der Wandel wird kommen, das ist unbestritten und das ist in meinem Blogeintrag so überhaupt nicht rausgekommen, im Gegenteil. UKW ist noch erfolgreich und das wird es bleiben, so lange „der Kunde“ klassische Spots mit seiner Frau am Frühstückstisch hören will. Das netz so wie wir Social Media-Leute es nutzen ist gerade erst dabei in der Mitte der Gesellschaft anzukommen.Der Wandel wird kommen, aber halt nicht so schnell und sicher nicht von heute auf morgen. Sagen wir lieber UKW als Geschäftsmodell ist noch lange nicht tot, aber es liegt im Sterben. 😉

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