Hin und wieder zurück. Die Geschichte einer 13-Stunden-Bahnfahrt.

Umsteigen an einem der uninteressantesten Bahnhöfe der Welt. Kassel-Wilhelmshöhe. Spritzbeton gewordene Langeweile und Trostlosigkeit. Wir sind fünf Minuten zu spät, alle Anschlusszüge warten. Trotzdem rennen Menschen, denn es sind die letzten Züge des Tages, die aus Kassel abfahren, die letzten die aus der Tristesse der Wilhelmshöhe retten. Als ich die Rampe zum Bahnsteig herunterkomme, steht der Schaffner schon wartend vor dem abfahrbereiten Zug. Hektisches Winken um mich herum, er gestikuliert keine Eile mit der Abfahrt zu haben.

Der Regionalexpress nach Gießen hat diese Ausstrahlung von Gemütsruhe, die mir in Hamburg fehlte. Hier fügt sich der Reisende in sein Schicksal, ruht, arrangiert sich auf die mittelmäßig bequemen Sitze und kümmert sich nur wenig um das kalte, weiße Licht. Aber Gemütsruhe hin oder her, Fahrten im Regionalexpress sind immer eine unangenehme Notwendigkeit. Ein Eindruck, der Methode zu haben scheint. Hier ist man mehr Stückgut, als Fahrgast. Es ist unbequem, kalt, es gibt – wenn überhaupt – nur Ansagen vom Band und wenn mal was ist, dann bittet das Zugpersonal um Verständnis und nicht – wie im ICE – um Entschuldigung.

Ein Anzug-Äffchen unterhält das Großraumabteil mit per Headset vorgetragenen Bank-Anekdoten. Nachdem das allein nicht funktioniert, versucht er, beim Telefonieren auf und ab zu stolzieren. Dabei checkt er immer wieder links und rechts, ob auch genug Leute auf ihn aufmerksam geworden sind. Wichtig dabei: Immer nah am Bankvokabular bleiben, laut ins Headset sprechen und das zugehörige iPhone 5 möglichst gut sichtbar so in der Hand halten, dass ein unbeteiligter Dritter das nicht für „damit herumwedeln“ halten würde.

Im Zug der hessischen Landesbahn ist für kurz nach Mitternacht überraschend viel los. Ich habe die Wahl zwischen zwei Wagen und damit zwischen zu lauten, zu betrunkenen Menschen und einer überraschend großen und nur notdürftig mit Zeitungspapier abgedeckten Lache Erbrochenem. Ich entscheide mich nach vier Sätzen der Lauten für die Kotze, die im Lauf der – dank der Besoffenen – dann doch  mehr als einstündigen  Fahrt immer sympathischer wird.

Lies von der Rückfahrt auf Seite 4.

7 comments on Hin und wieder zurück. Die Geschichte einer 13-Stunden-Bahnfahrt.

  1. Eine wirklich schöne Geschichte. Es ist einfach herrlich, Menschen zu beobachten, nicht wahr? 😀

  2. Eine wirklich schöne Geschichte. Es ist einfach herrlich, Menschen zu beobachten, nicht wahr? 😀

  3. Exakt. Meistens bin ich sehr genervt von solchen Menschen, aber diesmal war es ganz einfach, deren Unsinn hinzunehmen und aufzuschreiben.

  4. Exakt. Meistens bin ich sehr genervt von solchen Menschen, aber diesmal war es ganz einfach, deren Unsinn hinzunehmen und aufzuschreiben.

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