Zensurgesetz: Post an den Bundespräsidenten

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Gestern ist es also passiert. Die große Koalition hat gegen die Stimmen der Opposition und zum Teil auch gegen Widerstand aus eigenen Reihen, das Internet-Zensurgesetz durchgewunken und damit die Trennung von Exekutive und Judikative informell aufgehoben.

Nicht nur, dass damit das schlimmste Verbrechen, das es überhaupt gibt – nämlich der Missbrauch von Kindern und die Verbreitung kinderpornografischen Materials – nicht ausreichend verfolgt wird. Fast noch schlimmer wiegt, dass damit eine Zensurinfrastruktur für das Internet geschaffen wird, deren Ausweitung schon seit Tagen immer wieder von allen Seiten gefordert wird.

Bei der Abstimmung gestern wurde einmal mehr deutlich, in was für einer Bananenrepublik wir leben: Die Petition gegen das Zensurgesetz ist, soweit ich informiert bin, diejenige mit der höchsten Mitzeichnerzahl überhaupt. Und auch wenn 135.000 Mitzeichner ein verschwindend kleiner Teil des Wahlviehs ist, so sollte doch jedem mittelmäßig begabten Politiker klar sein, was da dahinter steht. Außerdem ist mittlerweile klar, dass die Bundesregierung bzw. namentlich Frau von der Leyen bei der Argumentation für das Zensurgesetz offenbar gelogen hat.

Mit rechtsstaatlichen Prinzipien hat das in meinen Augen nichts mehr zu tun. Und ich hoffe einfach ganz stark, dass die große Koalition dafür im Herbst die Quittung bekommt. Für mich ist zumindest klar, das Dr. Hans-Peter Bartels aufgrund seines Abstimmungsverhaltens zum Zensurgesetz in genau 99 Tagen zumindest meine Stimme nicht bekommt. Wen ich tatsächlich wählen werde, oder ob es vielleicht besser ist, ein großes Kreuz über den gesamten Stimmzettel zu machen, finde ich hoffentlich vorher noch heraus. Wir wissen ja: Wenn man nicht wählen will, dann muss man trotzdem hingehen, denn sonst bringt der ganze schöne Protest ja nüscht.

Tja, nun heißt es also Wahlprogramme wälzen. SPD scheidet, wie erwähnt, aus. Die CDU ebenfalls, wegen des permanenten Geschreis nach einer Ausweitung der Zensur. Die Grünen überschneiden sich in ihren Ansichten nicht immer mit mir, die Linke ist mir zu doof (und hat zu viele SED-Verquickungen und anderen Mist) und bei den Piraten stoßen mir deren Standpunkte zum Urheberrecht etwas sauer auf. Die Aussage „geistiges Eigentum gibt es nicht“ von deren Deutschland-Vorsitzenden ärgerte mich vor einigen Tagen doch sehr, das sehe ich einfach anders.

Mal gucken, wer von denen, die übrigbleiben, dann tatsächlich Chancen auf meine Stimme hat. Realistische Forderungen müssen sie schon haben, aber das wird die Parteiprogrammrecherche der nächsten Wochen und Monate zeigen.

Darum soll es aber jetzt nicht gehen. Die Frage ist doch viel eher, was jetzt noch getan werden kann. Franziska Heine, die Initiatorin der vielbeachteten, aber leider wie erwartet wirkungslosen, Petition gegen das Zensurgesetz hat eine Klage gegen das Gesetz angekündigt. Das kann erfahrungsgemäß Jahre dauern, wie auch schon in diversen Online-Derivaten von Zeitungen und Magazinen angemerkt wurde.

Meine vorletzte Hoffnung ruht jetzt auf dem Bundesrat. Da das Zensurgesetz meines Wissens Ländersache ist, müsste der eigentlich noch zustimmen. Ich bin mir da nicht sicher, der Gedanke kam mir gerade erst beim Schreiben. Wirklich groß ist die Hoffnung auf Erfolg nicht. Also bleibt nur der letzte Mann, der da noch was ändern kann. Und das ist witzigerweise der erste Mann im Staat: Der Bundespräsident Horst Köhler.

Er muss das Gesetz unterzeichnen, damit es in Kraft treten kann. Er ist derjenige, der final abwägen muss, ob das Gesetz das Papier wert ist, auf dem es geschrieben wurde und ob es die Tinte aus dem bundespräsidialen Füller wert ist. Also werde ich das tun, was meine einzige echte Möglichkeit ist: Ich schreibe einen Brief an Horst Köhler.

Und zwar jetzt.

Sehr geehrter Herr Bundespräsident,

ich wende mich in einer Angelegenheit an Sie, die mir sehr am Herzen liegt. Am Donnerstag wurde mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD das Zugangserschwerungsgesetz im Bundestag durchgewunken, mit dem angeblich die Verbreitung von Kinderpornografie verhindert und der angeblich existierenden Kinderporno-Wirtschaft das Wasser abgegraben werden soll. Ziel ist es demnach, dass ein weiterer Missbrauch von Kindern verhindert werden soll.

Dieses Ziel ist unbestritten sehr lobenswert und findet im Kern meine vollste Unterstützung. Jedoch halte ich die gewählten Mittel für absolut wirkungslos. Die geplante DNS-Sperre, die die Konsumenten von kinderpornografischem Material auf die bekannte Stoppschild-Seite umleitet, kann auch von wenig versierten Nutzern des Internets binnen Sekunden umgangen werden.

Auf dem Videoportal youtube.de existiert eine Anleitung dazu, wie man seinen Computer auf einen neuen DNS-Server konfigurieren kann. Die Sperre greift danach nicht mehr und der Zugang zu den so „gesperrten“ Seiten ist weiterhin problemlos möglich. Das erwähnte Video ist inklusive Einleitung und Schlussteil 28 Sekunden lang. Es verhält sich also nicht so, wie die Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen nicht müde wird, zu erklären: Die geplante DNS-Sperre kann eben nicht nur von „einigen wenigen, versierten Nutzern“ umgangen werden, die – nach Frau von der Leyens Meinung – der Zielgruppe dieser widerwärtigen Verbrechen angehören.

Nicht nur deshalb möchte ich Sie hiermit inständig bitten, dieses Gesetz nicht zu unterzeichnen und ich werde in den folgenden Zeilen meine weiteren Bedenken schildern:

Das wichtigste Argument gegen das Zugangserschwerungsgesetz ist die Tatsache, dass damit eine Zensurinfrastruktur aufgebaut wird, die – nicht nur nach meiner Meinung – einen massiven Eingriff sowohl in die Grundrechte (vgl §5 GG „Eine Zensur findet nicht statt.“) darstellt, als auch die rechtsstaatlichen Prinzipien der Bundesrepublik Deutschland stark beugt, wenn nicht sogar bricht. Mit diesem Gesetzentwurf wird die Gewaltenteilung zwischen Judikative und Exekutive aufgehoben, denn das BKA soll ohne richterlichen Beschluss selbst entscheiden, welche Seiten gesperrt werden und es soll sofort die Sperrung einleiten.

Politiker sowohl von CDU/CSU als auch von der SPD werden nicht müde, zu beteuern, dass es sich um ein Spezialgesetz handele, dessen einziger Zweck die Bekämpfung der Kinderpornografie sei. Nichtsdestotrotz wurden in den vergangenen Wochen immer wieder Stimmen aus eben diesen Lagern laut, dass eine Ausweitung auf andere Seiten (Urheberrechtsverletzungen, „Killerspiele“, Glücksspiel, etc.) „ernsthaft“ geprüft wird. Dass das Gesetz in naher Zukunft deutlich ausgeweitet wird, ist meines Erachtens lediglich eine Frage der Zeit.

Als letztes Argument für meine Bitte möchte ich anfügen, dass Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen nachweislich gelogen hat. Wie das Handelsblatt-Blog „indiskretion ehrensache“ kürzlich aufzeigte, hat die Bundesregierung sich weder mit den Sperrlisten anderer Länder eingehend beschäftigt, noch hat sie Kenntnis darüber in welchen Staaten Kinderpornografie nicht unter Strafe steht. Das ergab eine Anfrage der FDP-Fraktion im Bundestag. Beides waren zentrale Punkte in der Argumentation der Bundesfamilienministerin.

In der Anlage finden Sie einige Belege für die hier getätigten Aussagen, die Sie hoffentlich zu dem Schluss kommen lassen, dass das Zugangserschwerungsgesetz nicht zustimmungsfähig ist.

Ich möchte es noch einmal sagen: Der Missbrauch von Kindern ist das widerwärtigste Verbrechen, das ein Mensch begehen kann. Keine Strafe kann je das Leid und die seelischen Zerstörungen der Opfer wieder gut machen. Das Zugangserschwerungsgesetz ist nichts anderes, als dass wir die Vorhänge zuziehen, wenn im Haus nebenan ein Kind gequält wird.

Bitte, Herr Bundespräsident, verweigern Sie diesem wirkungslosen und das Grundgesetz schwächenden Gesetz Ihre Unterschrift.

Mit freundlichen Grüßen
Jörn Schaar

Diesen Brief werde ich noch mit einigen Anlagen versehen und morgen in die Post geben, in der wilden Hoffnung, dass das irgendetwas ändert. Wer möchte, darf den Brief natürlich gern kopieren und selbst auch noch mal abschicken. Noch ist das hier ja ein freies Land und vielleicht hat Köhler ja ein Einsehen. Die Anlagen übrigens stelle ich als Nachtrag hier online, bevor ich den Brief wegschicke.

Optimistisch allerdings bin ich nicht. Vielleicht sollte man sich diese Auswanderersendungen doch noch mal ganz genau ansehen…

Bildnachweis: Die Illustration am Anfang des Blogeintrages stammt von mediengestalter.cc, gefunden habe ich es bei wirres.net.

4 comments on Zensurgesetz: Post an den Bundespräsidenten

  1. Nur so aus Neugier: Du hast da oben alle etablierten Parteien genannt, nur die FDP nicht. Es scheint überhaupt in vielen von mir gelesenen Blogs einen Konsens zu geben, dass man die nicht wählt. Sind die wirklich so viel schlimmer als die anderen, oder hast du sie aus ganz anderen Gründen weggelassen?

  2. Könntest du die Anlagen auch veröffentlichen? Dann könnte man ihn noch erweitern und ergänzen, um ihn dann ebenfalls an den Bundespräsidenten schicken. Im Sinne eines Masseneffekts. Fastehste?

  3. @ Muriel: Kann ja mal passieren.

    @ Jo: Wenn ich mal aus meinem eigenen Eintrag zitieren darf? „Die Anlagen übrigens stelle ich als Nachtrag hier online, bevor ich den Brief wegschicke.“ Kommt also in wenigen Stunden. 🙂

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