Hin und wieder zurück. Die Geschichte einer 13-Stunden-Bahnfahrt.

Frankfurt. Im ersten Moment denke ich „Lange nicht mehr hier gewesen“, im nächsten „eigentlich gar nicht schlimm“. Frankfurts verzweifelter Versuch, sich durch den selbstgewählten Spitznamen „Mainhattan“ als reizvolle Weltmetropole zu gerieren, scheitert für mich schon am TravelSnack-Laden in Höhe von Gleis 8. Ich bestelle einen Carrot Cake und erhalte ein – zwar doppelt so großes, aber günstigeres – CurryWrap. Ja, mit BinnenMajuskel. Meine Reklamation sorgt für Verwirrung, letztlich stellt sich heraus, dass Carrot Cake hier RübliKuchen heißt. Ja, mit BinnenMajuskel.

Auf dem Bahnsteig allenthalben kaum Gemütsruhe. Ein Mann läuft die letzten 20m neben dem einfahrenden ICE her und hält dabei die Hand auf dem Türöffner. Er ist der erste der den Zug entert. Noch bevor jemand aussteigen kann. Aus der Tür ergießen sich reichlich Menschen in die Traube der Wartenden auf dem Bahnsteig. Es dauert beeindruckend lange, bis sich eine Gasse gebildet hat, durch die die Ex-Reisenden den Neu-Reisenden Platz im Zug machen können.

Gemütsruhe.

Am Platz mache ich mir handschriftliche Notizen zu den Ereignissen. Witzig; so sehr ich es am Notebook hasse, wenn mir jemand auf’s Display starrt, so entspannt bin ich, wenn jemand auf meinem Block mitliest. (Schöne Grüße, lieber Sitznachbar.)

Irgendwas stimmt mit dem Zug nicht. Deshalb müssen wir kurz hinter Frankfurt die Fahrtrichtung wechseln und deshalb gibt es allgemein laut vorgetragene Wünsche nach getauschten Plätzen, denn nun fahren ja etliche Menschen überraschend rückwärts. Geißel der westlichen Welt, wir erinnern uns.

Die Reisegruppe auf der anderen Seite des Mittelgangs ist laut und äußert sich abfällig über allerlei Dinge. Vor allem die Verspätung des Zuges von nun wohl 20 Minuten. Weil mit dem Zug etwas nicht stimmt, sind wir zu spät und können nicht wie geplant bis Kiel durch fahren. Eine Frau im fliederfarbenen Pullunder kündigt an, „mal wieder eine kleine Beschwerde“ schreiben zu wollen und stellt die Frage, ob sie wohl jemals mit der Bahn verreisen könnten, ohne anschließend eine Beschwerde schreiben zu müssen. Kurz nach dieser Ankündigung kündigt ein Mann im roten Pulli an, auf den Weihnachtsmarkt gehen zu wollen, wenn der versprochene Ersatzzug in Hamburg schon weg sei. Das saß. Nur Sekunden nach dieser Drohung beeilt sich der Zugchef bekannt zu geben, dass der Ersatzzug direkt am Gleis gegenüber auf uns warten werde. Donnerlittchen!

Im Ersatzzug allenthalben Unruhe, weil dessen Wagen – wohl mangels Wechsels der Fahrtrichtung – anders aufgereiht sind, als im Originalzug. Trotzig nimmt die Reisegruppe in der ersten Klasse Platz und fährt mit ihren völlig ungerechtfertigten Abfälligkeiten über das einwandfrei freundliche Personal fort. Ich gehe so lange im Zug geradeaus, bis ich ein Ruheabteil finde, in dem ich mich quer über den Gang von einer älteren Dame beim Anfertigen handschriftlicher Notizen beobachten lassen kann. In der Reihe hinter mir bringt jemand seine Freundin zum glucksenden Lachen, indem er seinen Mund zu einem O formt und die gespannten Wangen wie eine Trommel benutzt.

In Kiel angekommen muss ich am Ausstieg zunächst kurz warten, weil die Menschen vor mir offenbar davon überrascht sind, plötzlich auf einem Bahnsteig zu stehen und sich erstmal orientieren müssen. Ein paar Meter weiter streckt jemand zuerst seinen Kopf und dann eine Tuba aus dem Zug. Damit spielt er den ganzen Weg bis zum Ausgang „Downtown“ von Petula Clark. Ich gehe grinsend nach Hause und bin mit der Welt versöhnt.

7 comments on Hin und wieder zurück. Die Geschichte einer 13-Stunden-Bahnfahrt.

  1. Eine wirklich schöne Geschichte. Es ist einfach herrlich, Menschen zu beobachten, nicht wahr? 😀

  2. Eine wirklich schöne Geschichte. Es ist einfach herrlich, Menschen zu beobachten, nicht wahr? 😀

  3. Exakt. Meistens bin ich sehr genervt von solchen Menschen, aber diesmal war es ganz einfach, deren Unsinn hinzunehmen und aufzuschreiben.

  4. Exakt. Meistens bin ich sehr genervt von solchen Menschen, aber diesmal war es ganz einfach, deren Unsinn hinzunehmen und aufzuschreiben.

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