Na das sind ja heitere Aussichten: Offenbar will Twitter in Zukunft den Facebook-Newsfeed nachahmen. Statt wie bisher die Tweets meiner Timeline chronologisch anzuzeigen, werden wohl bald empfohlene Tweets das Gros ausmachen, schreibt t3n. Danach soll ein Algoithmus ermitteln, was meine Interessen sind und dazu passende Tweets in meine Timeline spülen. Das was die Leute schreiben, denen ich bewusst folge, rückt damit in den Hintergrund.
Schleichender Prozess
Twitter ist schon seit Jahren dabei, die Timeline allmählich von der Chronologie zu befreien. Mit der Einführung von nativen Retweets 2009 nahm das Ganze seinen Lauf: Wenn wir früher einen Tweet mochten, kopierten wir ihn, schrieben „RT“ vor den Twitterhandle des Urhebers und posteten den Tweet noch einmal. Je nach Zeichenzahl blieb dann noch Platz für einen kleinen Kommentar. Seit 2009 gibt es die Möglichkeit, einen Tweet mit nur einem Klick 1:1 nochmal zu posten – aber ohne die Chance, etwas eigenes hinzuzufügen. Dabei kommt es dann zu ungelenken Behelfslösungen: Retweeten und dann einen weiteren Tweet mit dem Hashtag #lastRT hinterher jagen. Viel wichtiger aber: Der Originaltweet unterscheidet sich kaum noch von einem aktuellen, erscheint zwischen allen anderen in meiner Timeline und nimmt ihr die Chronologie, die ich an Twitter so mag.
Das nächste Ding war der Gesprächsfaden, der vor exakt einem Jahr eingeführt wurde:
Wenn ich auf einen Tweet antworte, erscheinen Original und Antwort direkt untereinander und werden mit dieser blauen Linie verbunden. Dabei ist es egal, ob unsere Tweets im Abstand von wenigen Minuten oder mehreren Monaten aufeinander folgen. Der Ursprungstweet wird immer an den Anfang des Gesprächsfadens gesetzt. Das Bild oben stammt vom Tag der Einführung des neuen Features, dem 2. September 2013. Den ursprünglichen Tweet hatte @Frau_Elise drei Tage vorher geschrieben, ich antwortete erst an dem Tag. In unseren und den Timelines unserer gemeinsamen Follower tauchte unsere kleine Unterhaltung aber in einem Block auf – auf Wiedersehen, Chronologie.
Zuletzt sorgte Twitter schließlich mit der Ankündigung für Wirbel, demnächst auch Meldungen wie „XY hat diesen Tweet favorisiert“ in die Timelines der Follower von XY einblenden zu wollen. Als wäre das in irgendeiner Form wichtig. Die Favoriten sind für mich häufig sowas wie Lesezeichen. Ich sehe einen interessanten Link, habe aber keine Zeit den Artikel dahinter zu lesen – favorisieren. Das ist dann zwar chronologisch noch in Ordnung, ist aber nicht mehr so richtig die reine Lehre dessen, was Twitter für mich ausmacht.
Chronologie ist wichtig
Ich mag es sehr, dass meine Twittertimeline chronologisch aufgelistet ist und es nervt wie die Hölle, dass das bei Facebook nicht so ist. Dort bekomme ich nämlich ständig „XY hat einen Beitrag kommentiert, bei dem Du auf ‚Gefällt mir‘ geklickt hast“ oder dergleichen zu sehen. Dadurch werden uralte Statusupdates nach oben gespült, die vielleicht schon lange überholt sind und die ich wegen dieses „Features“ schon zig mal gelesen habe. Ein wichtiger Aspekt ist dabei auch, dass ich bei Facebook „nur“ rund 130 Leute als Kontakte habe und mir das Durcheinander dort jetzt schon auf den Keks geht. Bei Twitter folge ich fast 300 Leuten und komme an manchen Tagen schon nicht mehr hinterher alle Tweets zumindest zu überfliegen. Wenn ich in Zukunft von jedem dieser fast 300 mehrmals täglich „xy hat diesen Tweet favorisiert“ lesen soll und zusätzlich noch von einem Algorithmus empfohlene Tweets mit dabei sind, dann wird die liebevoll zusammengestellte Timeline darin untergehen. Die eigentlichen Tweets der Leute, die ich gern lese, gehen dann im Rauschen unter.
Mir ist klar, dass Twitter Geld verdienen muss. Mir ist auch klar, dass ich als Nutzer eines kostenlosen Angebots das Produkt bin, das vermarktet wird. Das Ergebnis sehen wir als erste zaghafte Versuche, bezahlte Tweets in unsere Timelines einzublenden und damit das auch alle sehen, verschwinden immer mehr Twitter-Apps von Drittanbietern vom Markt, weil die API immer restriktiver wird. Ich werde mir diese Entwicklung genau ansehen und ich hoffe, dass ich nicht früher oder später auf mein Lieblings-Social Network verzichten muss. Denn das wäre ein Grund für mich, Twitter den Rücken zu kehren.